Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie
Dachverband Gemeindepsychiatrie
Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen
Psychiatrie Verlag

Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen sind gekennzeichnet durch Schwierigkeiten in der Interaktion, im zwischenmenschlichen Bereich. Wenn wir Menschen mit Persönlichkeitsstörungen als schwierig bezeichnen, so drücken wir uns also um die Hälfte der Wahrheit herum: Nicht nur sie sind schwierig, sondern auch wir haben Schwierigkeiten im Umgang mit ihnen.

Persönlichkeitsstörungen sind immer ein Problem der Interaktion und nie das alleinige Problem der Betroffenen. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben oft schon seit sehr langer Zeit, manchmal seit Jahrzehnten, immer wieder dieselben Probleme. Sie geraten immer wieder in gleicher Weise in Konflikte mit anderen, werden enttäuscht, brechen Beziehungen ab oder scheitern an ihren Arbeitsstellen, immer aus ähnlichen Gründen.

Für Außenstehende ist es oft ganz leicht nachzuvollziehen, was die Person ändern müsste, um diese Schwierigkeiten nicht mehr zu haben. Aber die Betroffenen selbst können das nicht erkennen und behalten das Verhalten, das ihnen so viele Schwierigkeiten bereitet, immer weiter bei.

Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sind Persönlichkeitsstörungen in gewisser Weise Überlebensstrategien. (...) Sie haben das Verhalten als Lösung in einer schwierigen Situation entwickelt, es hat sich bewährt und nun wird es beibehalten, auch wenn es nicht mehr sinnvoll ist. (...) Zum anderen werden Persönlichkeitsstörungen ich-synton erlebt. Mit ich-synton bezeichnen Psychiater Dinge, die Menschen als "zu sich selbst gehörend" empfinden. Das bedeutet, die Betroffenen haben nicht den Eindruck, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, dass sie krank sein könnten. (...)

Es gibt viele verschiedene Persönlichkeitsstörungen und es ist oft schwer, sie gegeneinander abzugrenzen. Nicht selten erfüllen Menschen die Kriterien für mehrere Persönlichkeitsstörungen (...):

  • Dissoziale Persönlichkeitsstörung (...)
  • Histrionische Persönlichkeit (...)
  • Dependenter Persönlichkeit (...)
  • Narzisstische Persönlichkeitsstörung (...)
  • Zwanghafte Persönlichkeitsstörung (...)
  • Paranoide und passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung (...)
  • Schizoide Persönlichkeitsstörung (...)

Hintergründe

Für Persönlichkeitsstörungen gibt es keine klare, eindeutige Ursache. Es reicht schon, sich vor Augen zu führen, wie unterschiedlich die einzelnen Persönlichkeitsstörungen sind, um zu verstehen, dass sie nicht alle dieselbe Ursache haben können. Man nimmt auch bei Persönlichkeitsstörungen an, dass sie durch mehrere Faktoren verursacht werden.

An erster Stelle stehen dabei die psychosozialen Faktoren: Ungünstige Bindungsstile der Eltern, psychische Probleme der Eltern, ungünstige Erziehungsstile, ein ängstliches oder leicht erregbares Temperament des Kindes, fehlender sozialer Rückhalt und kritische, traumatische Ereignisse sind wichtige Auslöser einer erhöhten Vulnerabilität. Genetische und somatische Ursachen lassen sich dagegen nur für einzelne Persönlichkeitsstörungen finden, vor allem für die dissoziale Persönlichkeitsstörung.

Insgesamt kann man sagen, dass das Zusammenspiel von ungünstigen Umgebungsbedingungen und einer gewissen Labilität der Person die Entstehung einer Persönlichkeitsstörung begünstigt. Welche Faktoren das genau sind und warum sie im Einzelfall zu einer Persönlichkeitsstörung und nicht etwa zu einer anderen psychischen Erkrankung führen, ist nicht abschließend geklärt. (...)

Diagnostik und Häufigkeit

Persönlichkeitsstörungen sind komplexe Störungen. Die Störungen treten nicht selten auf. Man weiß allerdings nicht genau, wie viele Menschen im Laufe ihres Lebens an einer Persönlichkeitsstörung erkranken, aber jedes Jahr sind in Deutschland etwa 10 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Männer und Frauen erkranken etwa gleich häufig. (...)

Eine Persönlichkeitsstörung ist häufig nicht die einzige psychische Erkrankung und tritt auch gemeinsam mit anderen psychischen Erkrankungen auf.  (...) So findet sich beispielweise bei Menschen mit einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in 50% der Fälle auch eine Persönlichkeitsstörung und etwa die Hälfte der Menschen mit einer Diagnose aus dem schizophrenen Formenkreis haben zusätzlich eine Persönlichkeitsstörung. Auch Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen und Essstörungen treten häufig zusammen mit einer Persönlichkeitsstörung auf. (...)

Nicht selten lässt sich beobachten, dass auffällige Persönlichkeitszüge und Verhaltensweisen mit zunehmendem Alter und Lebenserfahrung abgeschwächt werden und die Klienten weitgehend zurechtkommen. Dies bedeutet, dass die Diagnose Persönlichkeitsstörung kein unabänderliches Urteil ist. (...) Die Probleme und Auffälligkeiten von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen beginnen meist schon in der Kindheit und Jugend. Die Diagnose kann aber erst nach dem Eintritt ins Erwachsenenalter sichergestellt werden. Die Übergänge zwischen einem akzentuierten persönlichen Stil und einer Persönlichkeitsstörung sind fließend.

Von einer Persönlichkeitsstörung wird erst dann gesprochen, wenn:

  • die Verhaltensmuster und Erlebensweisen des Betroffenen insgesamt deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben und Normen abweichen; diese Abweichungen äußern sich in der Art zu denken, zu fühlen und in der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen;
  • die Abweichung so ausgeprägt ist, dass das daraus resultierende Verhalten in vielen Situationen des Alltags unangemessen, unangepasst und unflexibel ist;
  • durch dieses Verhalten bei den Betroffenen selbst und/oder in ihrem sozialen Umfeld erheblicher Leidensdruck entsteht;
  • das abweichende Verhaltensmuster stabil und von langer Dauer ist und in der späten Kindheit oder Jugend begonnen hat;
  • eine andere schwere psychische oder organische Erkrankung nicht die Ursache des auffälligen Verhaltens ist.

Was hilft im Alltag?

Die Therapie mit Psychopharmaka spielt bei Persönlichkeitsstörungen in der Regel eine untergeordnete Rolle. Auch die Selbsthilfebewegung ist bei Persönlichkeitsstörungen – abgesehen von der Borderline-Persönlichkeitsstörung – nicht sehr ausgeprägt. Das hat damit zu tun, dass Menschen mit Persönlichkeitsstörungen sich meistens nicht als krank erleben und nicht erkennen können, welchen eigenen Anteil sie am Zustandekommen all ihrer Schwierigkeiten haben. Entsprechend suchen sie die Ursache ihrer Probleme eher in ihrer Umgebung, bei anderen Menschen.

Die Betroffenen suchen eher wegen kritischer Situationen in ihrem Leben therapeutische Hilfe oder wenn sich zusätzlich zur Persönlichkeitsstörung eine weitere psychische Erkrankung eingestellt hat, beispielsweise eine Depression. (...)

Hilfreicher Umgang

Lange Zeit galten Menschen mit Persönlichkeitsstörungen als nicht therapierbar. Ihnen wurde unterstellt, nicht motiviert zu sein, da sie keine Einsicht in ihre Problematik hätten. Sie galten als widerständige, uneinsichtige Klienten, die häufig Therapien abbrachen. Tatsächlich muss man mit persönlichkeitsgestörten Menschen anders umgehen und anders arbeiten als mit anderen psycisch Kranken.

Unerlässliche Voraussetzung ist ein verstehender Zugang, der sich auf die Sichtweise des Betroffenen einlässt und versucht, das heute hochproblematische Verhalten vor dem Hintergrund der Biografie als ursprünglich sinnvolle Überlebensstrategie einzuordnen und auch wertzuschätzen. Wenn es gelingt, den Betroffenen in diesem Sinne auf Augenhöhe zu begegnen, profitieren sie sehr von therapeutischer Unterstützung und Beratung durch Fachkräfte. Sie werden dann in die Lage versetzt, zwischenmenschliche Konfliktsituationen zu entschärfen und Probleme zu lösen. Einsicht in die eigenen Anteile ist dabei niemals die Voraussetzung einer therapeutischen Allianz, aber eines ihrer Ziele. (...)

Auf der anderen Seite haben Menschen mit Persönlichkeitsstörungen meist jede Menge Schwierigkeiten mit ihren Mitmenschen, beispielsweise mit Kollegen oder in Beziehungen, in der Bewältigung von Veränderungen am Arbeitsplatz, nach einem Umzug oder in der Übernahme sozialer Rollen. Wegen all dieser Schwierigkeiten suchen die sie durchaus Hilfe und Unterstützung bei Fachkräften. Nur kommen sie eben nicht mit dem Wunsch, an sich selbst zu arbeiten, sondern sie möchten, dass die anderen sich verändern. Fachkräfte sollten diese Wünsche aufgreifen und die Betroffenen zunächst in ihrer Sicht des Problems unterstützen, um überhaupt erst einmal einen Zugang zu ihnen zu bekommen. (...)

Darauf aufbauend sollte als Nächstes eine Positivierung erfolgen: Es muss gelingen, sich empathisch in die Motive des Klienten einzufühlen und diese als sinnvoll zu würdigen. Wenn dies glückt, ist das der entscheidende Schritt, um Zugang zu zu bekommen. Auch für die Betroffenen ist es oft ungeheuer erleichternd, wenn jemand — vielleicht sogar zum ersten Mal seit Jahren — versucht, einen positiven Sinn in ihrem Verhalten zu sehen. Aber natürlich ist das nicht einfach bei Menschen, die teilweise schon seit langer Zeit Verhaltensweisen zeigen (...). In der Regel können solche Verhaltensweisen nicht als positiv oder sinnvoll angesehen werden. Entscheidend ist aber, das dahinterliegende Motiv zu verstehen und dieses wertzuschätzen. (...)

Die Motive den Betroffenen zu verstehen, heißt nicht, seine Methoden und Strategien gutzuheißen. Sie können durchaus kritisch diskutiert werden. Wichtig ist aber ein verstehender Zugang auf der Ebene der Motive, der meistens gelingt, da Betroffene keine anderen Motive verfolgen als andere Menschen auch. Ziel ist es, die Motive zu belassen, aber gemeinsam zu überlegen, wie er sie auf einem anderen, sozial verträglicheren Weg befriedigen kann. (...)

In der Zusammenarbeit mit persönlichkeitsgestörten Menschen ist es sehr wichtig, sich als verlässlicher, emotional greifbarer Interaktionspartner zu präsentieren. (...) Ein weiterer vielversprechender Ansatz in der Arbeit mit Menschen, die unter Persönlichkeitsstörungen leiden, besteht darin, nicht sie selbst verändern zu wollen, damit sie besser in ihr Umfeld passen, sondern das Umfeld so zu verändern, dass sie gut hineinpassen. (...)

Nicht zuletzt sollten wir uns vor Augen führen, was es bedeutet, dass viele Menschen mit Persönlichkeitsstörungen jahrelang geübt sind in bestimmten einseitigen, aus ihrer Sicht bewährten Verhaltensweisen. Es bedeutet zum einen, dass sie diese Verhaltensweisen gut beherrschen, sie teilweise als Überlebensstrategie ansehen und nicht bereit sein werden, ein solches Verhalten aufzugeben, bevor ein besseres zur Verfügung steht. Zum anderen bedeutet es aber auch, dass sie keinerlei Übung mehr haben in anderen, alternativen Verhaltensweisen und sich oft gar nicht mehr anders verhalten können.

Wer sich immer nur anpasst, kann sich irgendwann gar nicht mehr wehren. Wer immer auffallen möchte, weiß nicht mehr, wie man sich zurückhaltend verhält. Und wer anderen ständig misstraut, hat verlernt, auch mal freundlich auf andere zuzugehen. Es ist daher wichtig, mit den Betroffenen auch alternative Verhaltensweisen zu trainieren. Gruppen zum Training sozialer Kompetenzen sind gut geeignet. Eine andere sehr gute Methode ist das Modell-Lernen. Es ist nicht zu unterschätzen, wie viel Betroffene von den Fachkräften lernen, einfach nur durch Beobachtung, Nachahmung und Nachfragen. Durch gezielte Anregungen und verstärkende Rückmeldung können sie versuchen, das Handlungsrepertoire ihrer Betroffenen zu erweitern.

Studien zeigen, dass Menschen mit Persönlichkeitsstörungen eher bereit sind, ein problematisches Verhalten aufzugeben, wenn sie alternative Verhaltensweisen gelernt haben. Neben diesen allgemein hilfreichen Formen des Umgangs mit persönlichkeitsgestörten Menschen gibt es auch spezifische Strategien, die je nach Persönlichkeitsstörung ergänzend hilfreich sein können.

Literatur

  • Fiedler, P.; Herpertz, S. (2016): Persönlichkeitsstörungen. Beltz Verlag.
  • Herpertz, S.; Saß, H. (2003): Persönlichkeitsstörungen. Thieme Verlag.
  • Lelord, F.; Andre, C.; Pannowitsch, R. (2009): Der ganz normale Wahnsinn. Vom Umgang mit schwierigen Menschen. Aufbau Verlag.
  • Sachse, R. (2017): Selbstverliebt, aber richtig. Paradoxe Ratschläge für das Leben mit Narzisten. Verlag Klett-Cotta, 9. Auflage.

Internet

Letzte Aktualisierung: 22.03.2024